Identität.

30. April 2013

 

In diesem Artikel benenne ich die jeweiligen Säulen unserer Identität, spreche über Schlüsselerlebnisse und manifestierte Glaubenssätze, mögliche Ursachen hinsichtlich Identitätskrisen und gebe dazu einige Beispiele. Auch können Sie anhand eines kleinen Fragen-Katalogs eine Bestandsaufnahme für sich selbst machen. Wie das geht: dazu mehr im letzten Drittel dieses Beitrags.

Die 5 Säulen der Identität

In der Systemik spricht man von den „fünf Säulen der Identität“ eines Menschen. Je nachdem, in welche Kultur er hineingeboren wird, unterscheiden sie sich inhaltlich voneinander. Es handelt sich dabei um:

  • die Leiblichkeit (Sexualität, Aussehen, Beziehung zum Körper),
  • das soziale Umfeld (Familie, Partner, Kinder, Freunde),
  • das Tätigsein (Arbeit und/oder Familienarbeit, Ehrenämter usw.),
  • das Materielle (Geld, Konsumgüter),
  • die immateriellen Werte (Religion, Spiritualität, sonstige Werte).

Diese Bereiche sind für sich gesehen schon recht komplex und stehen darüber hinaus in Wechselwirkung zueinander. Es kommt darauf an, welches Gewicht dem jeweiligen Bereich zugemessen wird. Wo hat sich eine starke Identität herausgebildet, wo eine schwache?

Das Bild von sich selbst

Identifiziere ich mich sehr mit meinem Körper und mit meinem Aussehen, weil man mir als Kind beispielsweise häufig sagte, wie hübsch ich sei, so speise ich diese identitätsstiftenden Erfahrungen auch in mein späteres Leben ein: Ich lege Wert auf mein Äußeres, treibe Sport oder halte mich gesund. Das Aussehen kann auch zum Kapital werden: Der Mann oder die Frau erlebt, dass sie dem Schönheitsideal der Gesellschaft eher als andere entspricht und macht sowohl in ihrem sozialen Umfeld als auch im Beruf damit wiederholte Erfahrungen. Zum Problem wird dies erst, wenn ein Mensch dieser Säule einen so hohen Stellenwert einräumt, dass beispielsweise die Überzeugung verinnerlicht ist:

„Nur, weil ich gut aussehe, hat man mir den Job angeboten.“

„Ohne mein Aussehen wäre ich nicht so erfolgreich.“

Auch negative Erfahrungen mit dem Körper, wie etwa, dass man als hässlich oder unansehnlich bezeichnet oder wahrgenommen wird, können sich in Glaubenssätzen manifestieren: „Ich kriege keine Frau ab, weil ich zu klein bin.“

Klein kommt groß raus

In Fällen, wo ein Mensch in einem Bereich seine Identität überwiegend negativ bewertet, gibt es das Bestreben, dies in anderen Bereichen auszugleichen. Beispielsweise hat die Wahrnehmung und Spiegelung des Umfeldes eines kleinen Mannes dazu geführt, dass er einen besonders spannenden Beruf ausübt. Oder aber sich ständig neuen Herausforderungen stellt. Er kann auch das körperliche Merkmal zu seinem Vorteil einsetzen, beispielsweise im Bereich des Sports.

Was bin ich wert?

In unserem Kulturkreis spielt die Arbeit eine sehr bedeutsame Rolle. Es passiert, dass Menschen, die arbeitslos werden, es auf Dauer sind oder keiner bezahlten Beschäftigung nachgehen, sich weniger wertvoll als die Erwerbstätigen fühlen. Eine Mutter, die nicht berufstätig ist, versucht unter Umständen dies dadurch zu kompensieren, dass sie daheim den Hauptanteil der Kindererziehung übernimmt. Erkennt sie darin für sich selbst einen großen Wert und fühlt sich als nützlicher Teil der Partnerschaft, stiftet dies genügend Sinn für ihre Beziehung und die Familie. Ist sie aber innerlich der Meinung, dass ihr Beitrag für die Familie von geringerem Wert ist, als der ihres Mannes, der das Geld verdient, wird die Identität in Frage gestellt oder sie gerät schlimmstenfalls in eine krisenhafte Notlage.

Nehmen Sie ein pizzakartongroßes Stück Pappe und schreiben Sie etwas drauf, was Sie belastet. Halten Sie es sich ein paar Zentimeter vor die Augen. Was sehen Sie?

Richtig. Sie sehen nur noch das Problem.

Grundsätzlich besteht die Tendenz, erlernte Strategien und wiederholt gemachte positive Erfahrungen für gegenwärtige Situationen und Herausforderungen des Lebens einzusetzen. Jeder Mensch – ob bewusst oder unbewusst – setzt die Strategien für sich ein, die ihm zum Vorteil gereichen und mit denen er gute Erfahrungen gesammelt hat. In besonderen Problemsituationen nun passiert etwas anderes: Ein in die Krise geratener Mensch hat einen großen Teil seiner Identität verloren oder sieht ihn als gefährdet an.

Baustelle an jeder Säule?

Das passiert dann, wenn zum Beispiel ein Arbeitsplatzverlust stattfand, eine kurz darauf erfolgte Trennung vom Partner oder ein Berg voller Schulden einen zu erdrücken droht. Oder, wenn jemand sehr spät ins Berufsleben einsteigt und jahrelang von seinen Eltern oder dem Staat abhängig war. Man möchte den Eltern oder der Gesellschaft etwas zurückgeben und kommt sich vor, als könne man dies nicht oder entspreche nicht den gängigen Anforderungen. Oder jemand, der als Christ erzogen wurde, sich mit aller Macht von seiner Religion abwendet.

Wenn Erfolg sexy macht, kann es im Umkehrschluss bedeuten, dass jemand, der sich selbst für erfolglos hält, eben auch keine Lust auf Sex hat. Selbst, wenn der Partner oder die Partnerin Lust signalisieren.

Wem die berufliche Karriere und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sehr wichtig ist und wer sich widerwillig oder dem Drängen des Partners auf eine Familiengründung einlässt, kann von einer Krise überrascht werden, die das Thema Elternschaft betrifft. Sich als Vater oder Mutter einer plötzlich vollkommen ungewohnten Rolle gegenüber zu sehen, kann Angst machen.

Die Ursachen für störende Faktoren in der Identität sind so vielfältig wie es menschliche Schicksale und Geschichten gibt.

Man kann sagen: Je weniger sinnliche und Sinn stiftende Erfahrungen jemand innerhalb der jeweiligen Säulen gemacht hat oder gegenwärtig macht oder diese Erfahrungen als nicht erstrebenswert einstuft, umso mehr bröckelt die Identität in ihrer Gesamtheit.

Glücklicherweise besteht das Leben im Allgemeinen nicht allein aus schlechten sondern auch aus guten Erfahrungen und deren Prägungen im Laufe der Sozialisation bzw. Identitätsbildung. Auch eine schlechte Erfahrung kann später als notwendig, ja sogar entwicklungsfördernd gesehen werden.

Das kann nicht (!) jeder.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, Menschen, die in eine Beratung kommen, zu fragen, unter welchen Umständen sie derzeit leben, welche positiven Strategien ihnen nützen und welche Ressourcen ihnen inne wohnen. Eine Krise lässt einen oft vergessen, dass man durchaus über erfolgreiche Verhaltensweisen verfügt; nur dass diese unter dem Druck der Belastung häufig unbedeutend erscheinen. Dem scheinbar Bedeutungslosen die nötige Aufmerksamkeit zu widmen, die Besonderheit eines Menschen in den Vordergrund zu stellen, ist mitunter eine der schwierigsten Aufgaben des Beraters, wenn sich der Klient überwiegend als wertlos, nutz- oder hilflos empfindet. Dennoch ist dies ein Kern-Element, um aus der Krise herauszufinden oder sich besser auf eine Veränderung vorzubereiten.

Fragen-Katalog und Bestandsaufnahme über Skalen

Wenn Sie das Gefühl haben, in eine Krise zu geraten oder es absehbare einschneidende Veränderungen in Ihrem Leben gibt, die Ihnen Sorge bereiten, stellen Sie sich folgende Fragen:

  • Was tut mir gut?
  • Was kann ich gut?
  • Was tue ich sehr gerne?
  • Was war mein bisher größter Erfolg?
  • Wie kann ich dafür Sorge tragen, dass diese Elemente in meinem jetzigen und künftigen Leben erhalten bleiben oder wieder belebt werden?

Übertragen Sie Ihre Aussagen auf die jeweiligen Säulen Ihrer Identität:

  • Körper
  • Soziales Umfeld
  • Tätigsein (Arbeit)
  • Materielles (Geld, Güter)
  • Werte (Religion, Tugenden, Weltanschauung, Spiritualität)

Finden Sie Gründe, wie etwas gut für Sie funktionieren kann.

Lassen Sie die Gründe, wie etwas nicht funktioniert, beiseite. Die Fokussierung auf das, was Sie nicht können, bringt sie nicht weiter.

Prüfen, wo und wie man steht

Wenn Sie gerne strukturiert vorgehen, können Sie sich z. B. eine Skala mit der jeweiligen Säule aufmalen und einen Realitäts-Check machen.

Zum Beispiel auf einer Skala von 1-10: Wie zufrieden bin ich mit meinem körperlichen Erleben/Aussehen (1= sehr unzufrieden, 10 = sehr zufrieden) usw. Dort, wo Sie eine geringe Punktzahl vergeben, entdecken Sie Ihre Entwicklungsrichtung. Notieren Sie dann, welche Veränderungen oder Zugaben/Weglassungen in Ihrem Leben nötig sind, um sich in einer guten Balance zu befinden. Sie können die einzelnen Säulen in sich weiter differenzieren soweit Sie das notwendig finden.

Um bei dem Beispiel „Körper“ zu bleiben: Sie haben sich eine fünf gegeben. Sie finden, dass Sie eine acht erreichen können. Nun entscheiden Sie, ob es darum geht, dass sie mehr oder weniger Sport treiben oder dass Sie sich mehr Zeit für Intimität mit Ihrem Partner nehmen wollen. Oder dass Sie zu viel tun und die Squash-Abende stattdessen gegen eine Entspannung zuhause eintauschen.

Genauso können Sie die anderen Bereiche Ihres Lebens einer Bestandsaufnahme unterziehen. Wenn Sie sich im Beruf eine vier gegeben haben, scheint es angemessen zu sein, die Gründe für die Punktzahl zu erforschen. Müssen Sie etwas innerhalb Ihrer Arbeit verändern? Und wenn ja: was kann das sein und worauf haben Sie einen Einfluss? Oder überlegen Sie schon lange, eine neue Arbeit zu suchen? Wenn ja, welche Schritte sind dafür notwendig und auf welche Hilfen oder Ressourcen müssen sie zurückgreifen?

Wenn Sie alleine nicht weiterkommen und Ihnen Ihre Bestandsaufnahme zu theoretisch erscheint, sprechen Sie entweder mit Menschen, die Sie als Vertrauensperson anerkennen und versuchen Sie, Ihre Vision über die gewünschte Veränderung so anschaulich wie möglich zu machen. Stoßen Sie auf Skepsis oder Ablehnung, scheinen Sie selbst noch nicht so überzeugt von Ihrer Sache zu sein. Reagiert Ihr Gesprächspartner mit Zustimmung und Ermutigung, wissen Sie, dass Sie auf der richtigen Spur sind. Achten Sie nur darauf, dass Ihr Gesprächspartner Ihnen nicht seine eigene Sicht der Dinge überstülpen möchte oder dies unbewusst tut.

Vorteil von Beratung – Transfer in den Alltag

Im Beratungsprozess kommt Ihnen meine Beobachtungsgabe zugute: Ihre innere Haltung zu Ihren Ausführungen macht sich nicht allein anhand Ihrer Sprache kenntlich. Auch ihre Körperhaltung sagt eine Menge aus. Dort, wo ich meine Klienten offen und neugierig, begeistert und interessiert erlebe, lässt sich dies sowohl in ihrem Sprachgebrauch als auch an der Haltung Ihrer Arme, Beine usw. ablesen. Unbewusst gibt der Körper viele Informationen zu dem ab, was jemand ablehnt oder willkommen heißt. Wenn Sie daran interessiert sind, hierbei gespiegelt zu werden, unterstütze ich Sie sehr gerne.

Wichtig für die Arbeit mit meinen Klienten ist es, dass die Veränderungen, die diese in ihr Leben integrieren möchten, auch im Alltag stattfinden. Das bedeutet unter Umständen harte Arbeit. Etwas Neues dem eigenen Verhalten hinzuzufügen, kann heißen, dass man ein und dieselbe Handlung bis zu dreihundertundvierzig Mal wiederholen muss, damit sie gelernt ist. Alles davor bedeutet, sich stets eine Situation bewusst zu machen, um gewünschtes Verhalten zu zeigen. Dies gegen eingefahrene Muster auszutauschen, ist beizeiten anstrengend; doch genauso bereichernd und beglückend, wenn es gelingt.

In der Beratung haben Sie die Zeit, darüber zu sprechen und sich zu vergegenwärtigen, wo Ihnen Entwicklung gelingt, sie ein Muster unterbrechen. Und welche Hilfsmittel Sie darüber hinaus als Anker für sich nutzen können, um nicht im Alltagsstress ihr Ziel aus dem Auge zu verlieren.

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